Lücken

Er kommt auf leisen Sohlen. Oftmals schlägt er überraschend zu, manchmal wird er sehnsuchtsvoll erwartet. In dunkeln Stunden flüstert er leise und wartet auf eine Antwort. Und er wartet geduldig. Wir verdrängen ihn, wir lassen ihn aussen vor, ein ungebetener Gast ist er. Er ist weder Feind noch Freund, doch stets an unserer Seite – der Tod.

Der Tod. Welch schreckliches Wort, welch übler Gedanke. Wir Menschen denken nicht wirklich gerne an das eigene Ende, welches, wie uns unsere Ratio doch sagt, unabdingbar ist. Diesen Kreislauf von Werden und Vergehen verbannen wir nur zu gerne aus unseren Köpfen und Herzen. Obwohl wir wissen, dass jedes Leben ein Ende nimmt, halten wir uns trotzdem für unbesieg- und unverletzbar. Es ist wohl ein Schutzmechanismus um das Dasein überhaupt meistern zu können.

In unserer rasanten Zeit wird er zur Nebensache, der Tod wird tabuisiert und häufig vergehen Jahre, bis man überhaupt mit ihm in Kontakt kommt. Doch plötzlich besucht er einen Menschen aus den eigenen Reihen und nimmt jemanden dem man nahe steht mit. Erst dann wird einem wieder bewusst, was Leben überhaupt bedeutet. Was es heisst, gesund zu sein, die Wahl zu haben, was es bedeutet in einem Land ohne Krieg erwachsen zu werden und zu existieren. Und obwohl der Tod bei den Zurückgebliebenen oft nur Ohnmacht, Trauer und Schmerz hinterlässt, erweckt er deren Lebensgeister neu und lässt sie an Dinge anknüpfen, die sie vergessen glaubten – vielleicht gerade auch in Gedenken an die, die nicht mehr sind.

Beim Gedanken und dem Wissen darüber, dass jede Sekunde ein Menschenleben aufhört zu sein, ja daran könnte man verzweifeln. Denn egal wer stirbt: es ist immer jemandes Vater, Tochter, Onkel oder Schwester. Es ist immer jemand, der fehlen wird und irgendwo eine Leere hinterlässt.

Auch ich werde mit einer Lücke auskommen müssen, nichtsdestotrotz zeichne ich in Gedanken die Gesichter derjenigen nach, die nicht mehr sind und hoffe, dass die Bilder, die sie von sich gemalt haben nicht ganz verblassen. Bis meine eigene Stunde schlägt.